
Gesundheit in Gefahr: Wie Lärm am Arbeitsplatz schadet
Erfahren Sie von Dr. Veronika Stürzlinger, HNO-Fachärztin und AUVA-Arbeitsmedizinerin, wie Lärm am Arbeitsplatz Ihre Gesundheit gefährden kann sowie welche Maßnahmen zur Prävention und zum Gehörschutz wichtig sind.
sichereswissen: Frau Dr. Stürzlinger, Sie sind Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und beraten als Arbeitsmedizinerin der AUVA viele Unternehmen zum Thema Lärmprävention. Können Sie uns erklären, warum Lärm am Arbeitsplatz ein ernstzunehmendes Problem ist?
Dr. Stürzlinger: Lärm zählt zu den krankmachenden Faktoren am Arbeitsplatz und wird leider oft unterschätzt. Lärm kann nicht nur das Gehör schädigen, sondern auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. In Österreich sind rund 500.000 Arbeitnehmer:innen beruflich bedingt gehörschädigendem Lärm ausgesetzt. Die Folge ist häufig Lärmschwerhörigkeit, die trotz präventiver Schutzmaßnahmen zu den häufigsten anerkannten Berufskrankheiten in Österreich zählt.
sichereswissen: Lärm wird unterschiedlich wahrgenommen. Was für eine Person noch angenehm ist, ist für eine andere vielleicht schon unerträglich. Was genau versteht man unter Lärm, und ab wann wird er gefährlich?
Dr. Stürzlinger: Lärm umfasst alle Geräusche, die unerwünscht, also störend, oder gehörschädigend sind. Als gehörschädigend gelten alle Geräusche über 85 dB, unabhängig davon, ob sie als angenehm oder unangenehm empfunden werden. Geräusche unter 85 dB sind zwar nicht gehörschädigend, gelten aber, sobald sie als störend empfunden werden, trotzdem als Lärm.
sichereswissen: Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat Lärm auf den Menschen?
Dr. Stürzlinger: Wir unterscheiden zwischen gehörschädigendem und nicht-gehörschädigendem Lärm. Beide haben aber Auswirkungen auf die Gesundheit. Gehörschädigender Lärm führt zu Lärmschwerhörigkeit mit einer typischen Form der Hörminderung, der sogenannten C5-Senke. Diese zeigt sich bei einem Hörtest im Audiogramm als Absenkung der Hörschwelle bei etwa 4.000 Hz. Tinnitus ist oft eine Begleiterscheinung. Nicht-gehörschädigender Lärm unter 85 dB führt unter anderem zu sogenannten extra-auralen Symptomen und kann das Herz-Kreislauf-Risiko erhöhen, also zu Schlaganfall und Herzinfarkt führen. Auch vergleichsweise geringer Lärm hat Auswirkungen auf den Körper und die mentale Leistung. Die Folge sind kurze Merkspannen und erhöhte Fehlerhäufigkeiten, auch Herzfrequenz und Blutdruck sind erhöht, Stresshormone werden vermehrt ausgeschüttet und Magen-Darm-Erkrankungen begünstigt. Betroffene treten oft den sozialen Rückzug an, was bedeutet, dass sie sich aufgrund ihrer Lärmschwerhörigkeit immer mehr von ihrer gesellschaftlichen Umgebung isolieren.
sichereswissen: Und wie sieht es in Bezug auf die Sicherheit aus? Hat Lärm auch sicherheitsrelevante Auswirkungen?
Dr. Stürzlinger: Lärmschwerhörigkeit stellt definitiv auch ein Sicherheitsrisiko für die Betroffenen dar, z. B. wenn sicherheitsrelevante Durchsagen nicht mehr verstanden oder akustische Warn- oder Alarmsignale nicht mehr wahrgenommen können. Das betrifft nicht nur die Sicherheit am Arbeitsplatz (siehe auch Blog-Beitrag "Stille Revolution: Sicheres und gesundes Hören am Arbeitplatz"), sondern auch im Privatleben.
Als gehörschädigend gelten alle Geräusche über 85 dB, unabhängig davon, ob sie als angenehm oder unangenehm empfunden werden.
sichereswissen: Wie viel Lärm ist am Arbeitsplatz erlaubt?
Dr. Stürzlinger: Im Arbeitnehmer:innenschutz gilt ein Expositionsgrenzwert von 85 dB über einen Zeitraum von acht Stunden als gehörschädigend. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer:innen, die während ihrer achtstündigen Arbeitsschicht einem durchschnittlichen Lärmpegel von 85 dB ausgesetzt sind, ein erhöhtes Risiko für Gehörschäden haben. Höhere Lärmpegel, z. B. beim Arbeiten mit einem lauten Presslufthammer, oder sogenannter Impulslärm, z. B. ein lauter Knall oder eine Explosion, können auch in kürzerer Zeit zu einer Gehörschädigung führen.
sichereswissen: Was ist die sogenannte Lärmschwerhörigkeit?
Dr. Stürzlinger: Lärmschwerhörigkeit ist eine durch Lärm verursachte, irreversible Schädigung des Innenohrs. Das heißt: Nach jahrelanger Lärmeinwirkung kommt es zum Absterben der Nervenzellen im Innenohr. Man muss sich das so vorstellen: Die feinen Haarzellen im Innenohr werden durch Lärm überlastet und schließlich beschädigt. Dann können sie Schallwellen nicht mehr in elektrische Signale umwandeln, und das Gehirn erhält weniger oder verzerrte Informationen, was das Hören erschwert. Im Arbeitnehmer:innenschutz gilt Lärmschwerhörigkeit bzw. der volle Name „Durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit“, als eine der häufigsten Berufskrankheiten (siehe auch Blog-Beitrag "Berufskrankheitenliste: Was ist neu?").
sichereswissen: Wie stellt man eine Lärmschwerhörigkeit fest?
Dr. Stürzlinger: Erste Verschlechterungen der Hörfähigkeit werden von Betroffenen kaum wahrgenommen. Hat man Verständnisschwierigkeiten in einer moderaten Geräuschkulisse oder in einer hallenden Umgebung, kann dies schon auf eine beginnende Schwerhörigkeit hindeuten. Bei andauernder Lärmbelastung kann auch Tinnitus auftreten, der zu einer weiteren Einschränkung der Lebensqualität führt. Objektiv festgestellt wird Lärmschwerhörigkeit durch eine Reintonaudiometrie. Bei dieser audiometrischen Messung wird über Kopfhörer festgestellt, wie gut die jeweilige Person hört. Es wird die Hörschwelle ermittelt, also die leisesten Töne, die die Person gerade noch hören kann, und mit der einer normal hörenden Personengruppe verglichen. Im Audiogramm ist sichtbar, um wieviel Dezibel die Person schlechter hört. Abweichungen bis 20 dB gelten als unbedenklich. Eine Früherkennung durch regelmäßige Untersuchungen ist wichtig, um einem Hörverlust vorzubeugen.
sichereswissen: Was kann man gegen Lärmschwerhörigkeit machen?
Dr. Stürzlinger: Die schlechte Nachricht lautet: Es gibt keine Behandlung, die eine bereits bestehende Lärmschwerhörigkeit heilen kann! Sie ist weder durch Medikamente noch durch eine Operation heilbar, und auch ein Hörgerät kann die Hörfähigkeit nur bedingt wiederherstellen. Eine durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit ist nicht heilbar, kann aber durch Lärmvermeidung und Gehörschutz verhindert werden. Wichtig ist die Früherkennung durch regelmäßige Untersuchungen. Die einzige effektive „Behandlung“ ist die Prävention, also zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Schädigung des Gehörs kommt.
Meine Bitte: Achten Sie auf Ihr Gehör bzw. auf jenes Ihrer Mitarbeiter:innen!
sichereswissen: Und wie kann man sich vor Lärm am Arbeitsplatz schützen?
Dr. Stürzlinger: Die beste Maßnahme ist die Lärmvermeidung. Lärm am Arbeitsplatz muss auf das niedrigste vertretbare Niveau gesenkt werden. Gute raumakustische Verhältnisse sollten daher schon bei der Planung einer Betriebsstätte im Fokus stehen. Arbeitgeber:innen sind verpflichtet, Lärmquellen am Arbeitsplatz vorrangig durch technische Maßnahmen zu beseitigen, also z. B. laute Maschinen durch leisere zu ersetzen oder lärmdämmende Materialien einzusetzen. Sind technische Maßnahmen nicht möglich, können organisatorische Maßnahmen, wie z. B. die räumliche Trennung von Lärmarbeitsplätzen und Nicht-Lärmarbeitsplätzen, helfen. Wenn weder technische noch organisatorische Maßnahmen möglich sind, kommt als letzte Maßnahme der persönliche Schutz zum Einsatz. Am Arbeitsplatz wäre das die Persönliche Schutzausrüstung (PSA) in Form von Gehörschutz.
sichereswissen: Ab wann ist Gehörschutz am Arbeitsplatz erforderlich?
Dr. Stürzlinger: Ab einer Dauerlärmbelastung von 80 dB oder bei Pegelspitzen über 135 dB müssen Arbeitgeber:innen geeigneten Gehörschutz zur Verfügung stellen. Kann trotz aller Maßnahmen ein Überschreiten eines Grenzwertes nicht verhindert werden, sind Arbeitnehmer:innen dazu verpflichtet, Gehörschutz zu verwenden. Wichtig ist, den Gehörschutz im Lärmbereich konsequent zu tragen, da nur so eine ausreichende Schutzwirkung erreicht wird.
sichereswissen: Worauf kommt es beim Gehörschutz an?
Dr. Stürzlinger: Wichtig ist, einen für den jeweiligen beruflichen Einsatzzweck geeigneten CE-gekennzeichneten Gehörschutz auszuwählen. Welche Wirkung ein Gehörschutz hat, wird auf der Verpackung angegeben. Man unterscheidet zwischen hoch-, mittel- und tieffrequentem Lärm. Einen in der EU zugelassenen Gehörschutz erkennt man an der CE-Kennzeichnung und der Angabe der eingehaltenen Norm EN 352. Achtung: Kopfhörer zum Musikhören oder Headsets zum Telefonieren weisen nicht die erforderliche Schalldämmung auf und sind nicht als Gehörschutz zertifiziert! Welcher Gehörschutztyp zum Einsatz kommt, hängt von der jeweiligen Lärm-Situation und den persönlichen Vorlieben ab: Während sich Kapselgehörschützer oft bei kurzen Tragedauern oder engen Gehörgängen eignen, bieten Gehörschutzstöpsel Vorteile bei längeren Lärmexpositionen sowie großen körperlichen Anstrengungen. Den besten Tragekomfort bietet meist ein individuell angepasster Gehörschutz, der auch das Sprachverstehen weitgehend erhält.
sichereswissen: Vielen Dank, Frau Dr. Stürzlinger, für diese wertvollen Informationen zum Thema Lärm am Arbeitsplatz und welche Auswirkungen dieser haben kann.
Dr. Stürzlinger: Gern geschehen. Es ist wichtig, das Bewusstsein für Lärmschutz zu schärfen und präventive Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Die AUVA unterstützt Sie mit vielen Angeboten dabei (siehe Blog-Beitrag "Lärm-Prävention mit der AUVA: Gemeinsam für einen ruhigen Arbeitsplatz"). Daher abschließend meine große Bitte: Achten Sie auf Ihr Gehör bzw. auf jenes Ihrer Mitarbeiter:innen!
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Bei Fragen zum Thema steht Ihnen das AUVA-Präventionsteam gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns unter sichereswissen@auva.at