SKM / Adobe Stock Mann und Frau sitzen in Produktionshalle und schauen auf einen Laptop

Evaluierung psychischer Belastung am Arbeitsplatz: Problemfelder identifizieren und Maßnahmen ergreifen

Arbeitsbedingte psychische Belastung ist seit der ASchG-Novelle 2013 ein wesentlicher Teil der Arbeitsplatzevaluierung. Erfahren Sie, warum die Evaluierung dieser Belastung entscheidend für die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeitenden ist und welche Verfahren für die Evaluierung zur Verfügung stehen.

05.11.2024
8 Minuten
Fachbereich Arbeits- und Organisationspsychologie
Schlagwörter: Evaluierung, Psychische Belastung, Verfahren

Die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz hat mit der Novelle des Arbeitnehmer:innenschutzgesetzes (ASchG) 2013 in der Prävention an Bedeutung gewonnen. Seither sind im Zuge der Gefahrenverhütung sowohl physische als auch psychische Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, zu berücksichtigen. Gesundheit umfasst dabei sowohl physische als auch psychische Aspekte.

Psychische Belastung – was genau ist das?

Psychische Belastung umfasst alle äußeren Einflüsse, die auf eine Person einwirken und ihre Psyche beeinflussen. In den deutschsprachigen Arbeitswissenschaften hat sich weitgehend das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept durchgesetzt, das zwischen Belastung (Einwirkungen) und Beanspruchung (Auswirkungen) unterscheidet.

Die ÖNORM EN ISO 10075 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung” definiert in Teil 1 die wichtigsten Begriffe im Bereich der psychischen Arbeitsbelastung.

Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf einen Menschen zukommen und diesen psychisch beeinflussen.

(ÖNORM EN ISO 10075:1, S.6)

Die Norm verwendet den Ausdruck „psychisch“, wenn auf Vorgänge des menschlichen Erlebens und Verhaltens Bezug genommen wird. So bezieht sich der Begriff auf kognitive (geistige) und emotionale (gefühlsmäßige) Vorgänge im Menschen. Der Ausdruck „psychische Belastung“ wird verwendet, weil kognitive und emotionale Prozesse miteinander in Beziehung stehen.

Beispiele für psychische Belastungsfaktoren sind

  • hohe Informationsdichte
  • fehlende Unterstützung von Führungskräften und Kollegen:Kolleginnen
  • fehlende Einschulung, z. B. in Software
  • häufige Störungen durch technische Probleme
  • wiederholte Unterbrechungen durch E-Mails, Telefonanrufe, Chat-Nachrichten.

Beanspruchung ist hingegen die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung auf eine Person. Sie hängt vom aktuellen Zustand der Person ab und kann sowohl kurz- als auch langfristig förderliche als auch beeinträchtigende Auswirkungen haben.

 

Psychische Belastung evaluieren – darum geht’s!

Bei der Arbeitsplatzevaluierung gemäß ASchG geht es darum, psychische Belastung am Arbeitsplatz zu ermitteln, zu beurteilen und Maßnahmen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen abzuleiten und umzusetzen. Betrachtet werden dabei vor allem jene Arbeitsanforderungen und -bedingungen, die im Arbeitsalltag zu Problemen führen können. Nicht bewertet werden die Persönlichkeit, Leistungsfähigkeit oder die Gesundheit der Beschäftigten.

Bei der Maßnahmenentwicklung ist das STOP-Prinzip anzuwenden. Dieses gibt vor, dass in der Prävention zuerst die Arbeitsbedingungen sicher und gesundheitsförderlich gestaltet werden, bevor personenbezogene Maßnahmen gesetzt werden.

Das STOP-Prinzip

Substitution (Ursachen für Fehlbeanspruchungen, wie z. B. Störungen/Unterbrechungen, beseitigen)

Technische Maßnahmen (technische und bauliche Lösungen zum Schutz der Arbeitnehmer:innen vor Aggression und Gewalt)

Organisatorische Maßnahmen (Arbeitsabläufe und Arbeitsprozesse anpassen)

Personenbezogene Maßnahmen (z. B. Schulungen oder Trainings anbieten, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.)

Die Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen ist zudem gemäß ASchG zu überprüfen und die Evaluierung anzupassen und zu dokumentieren.

Wichtig:

Im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung nach ASchG wird nur die psychische Belastung ermittelt und bewertet – die Beanspruchung und deren Folgen sind nicht Ziel der Erhebung oder Bewertung.

Verfahren zur Evaluierung psychischer Belastung

In der Folge werden standardisierte Verfahren vorgestellt, die den Anforderungen der ÖNORM EN ISO 10075 entsprechen und österreichischen Betrieben von der AUVA kostenlos zur Verfügung gestellt werden:

Verfahren

Evaluierung psychischer Belastung – keine einmalige Angelegenheit!

Da sich viele Mitarbeiter:innen zunehmend überlastet fühlen, besteht erhöhter Handlungsbedarf für die Unternehmen. Auch jene, die bereits eine Erstevaluierung durchgeführt haben, sind gefordert, auf aktuelle Entwicklungen im Unternehmen einzugehen und die Arbeitsbedingungen fortlaufend zu verbessern. Mögliche Faktoren, die zu einer veränderten Belastung im Unternehmen führen können, sind z. B.

  • Arbeitsverdichtung mit steigenden Leistungsanforderungen und Zeitdruck
  • Entwicklung neuer Arbeitsformen, insbesondere mit Zunahme an Informations- und Kommunikationstechnologie (Entgrenzungsphänomene, Mobile Arbeit) & zugleich Intensivierung und Extensivierung von Arbeit
  • Notwendigkeit ständiger Anpassung an neue Arbeitsmittel und neue Arbeits- und Organisationsformen
  • Wechsel der Inhalte und der Rahmenbedingungen der Arbeit (z. B. Projektarbeit, befristete Arbeitsverträge, Variabilität der Arbeitszeit etc.)
  • Dienstleistungsorientierung: Anpassung an Ansprüche von Kunden:Kundinnen, Anforderungen an Mitarbeitende schnell und flexibel zu handeln
  • Kostendruck: Notwendige Beachtung von Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien
  • Angst vor Arbeitsplatzverlust

Neue Herausforderungen

Die rasante Entwicklung neuer Technologien und Arbeitsmittel erfordert eine kontinuierliche Anpassung. Mitarbeitende müssen sich ständig auf neue Tools und Organisationsformen einstellen, was zusätzlichen Stress verursachen kann. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit und damit auch auf die Arbeitsplatzevaluierung werden zwar vermehrt thematisiert, die Praxis zeigt jedoch, dass entsprechende Belastungsfaktoren noch zu wenig systematisch in die Arbeitsplatzevaluierung einbezogen werden.

Einige der aktuellen Themen, die im Zusammenhang mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz besonders relevant sind:

  • Telearbeit und hybride Arbeit: Die Belastung durch Telearbeit oder hybride Arbeit steht derzeit im Fokus. Die Trennung von Beruf und Privatleben verschwimmt, was zu zusätzlichem Stress führen kann.
  • Automatisierung von Aufgaben: Die Automatisierung verändert die Arbeitswelt. Während sie einige Aufgaben erleichtert, kann sie auch Unsicherheit und Anpassungsdruck bei den Mitarbeitenden erzeugen.
  • Arbeit mit KI-basierten Systemen oder fortgeschrittener Robotik: Auch der Einsatz Künstlicher Intelligenz und die Integration fortschrittlicher Robotik am Arbeitsplatz bringen neue Herausforderungen mit sich. Digitale Systeme müssen entsprechend menschlicher Leistungsvoraussetzung gestaltet sein. Der Einsatz dieser Systeme fordert auch eine passende Einschulung der Arbeitnehmer:innen.

Die Automatisierung von Aufgaben, die Arbeit mit KI-basierten Systemen oder fortgeschrittener Robotik sowie der Einsatz intelligenter digitaler Systeme zur Verbesserung des Arbeitnehmer:innenschutzes werden Betriebe und Experten:Expertinnen im Arbeitnehmer:innenschutz im Allgemeinen und bei der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung im Besonderen zunehmend beschäftigen. Die AUVA bietet Betrieben im Rahmen der aktuellen Präventionskampagne “Gemeinsam sicher digital” Beratung, Informationen, Unterlagen und Möglichkeit zum gemeinsamen Austausch über den Arbeitnehmer:innenschutz im Zusammenhang mit diesen neuen Themen.

Literatur:

  • Molnar, M., Prinkel, M. & Friesenbichler, H. (2013). Evaluierung psychischer Belastungen. Die Arbeits-Bewertungs-Skala – ABS Gruppe. AUVA: Wien.
  • ÖNORM EN ISO 10075-1: 2018-01. Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 1: Allgemeine Aspekte und Konzepte und Begriffe. Österreichisches Normungsinstitut: Wien.
  • Prümper, J., Hartmannsgruber, K. & Frese, M. (1995). KFZA – Kurzfragebogen zur Arbeitsanalyse. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie.
  • Prümper, J. & Vowinkel, J. (2019). EVALOG – Evaluierung psychischer Belastung im Dialog nach dem österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) für Kleinstbetriebe. AUVA: Wien.

Sie haben Fragen zur Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz? Das Präventionsteam der AUVA steht Ihnen gerne beratend zur Seite. Kontaktieren Sie uns unter sichereswissen@auva.at